Один человек выразил желание прочесть, а кто может воспротивиться желанию вывесить свою графоманию, если кто-то готов прочесть?
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оригиналHerr Etzel erwachte nicht; er hatte schlaflos gelegen.
Er kannte den Schlaf der Nacht nicht mehr. Er stieß den Vorhang seines Zeltes auseinander mit der Faust und dem Knie. Er schritt über die Wächter fort, die davor lagen; sein Gesicht wurde Galle, als er sie schlafen sah.
Er sog den Rauch der dünnen Feuer ein, die zwischen Schnee und nasser Erde schwelten, den Dunst der Pferde und des feuchten Leders. Er hob den blanken Schädel, von dem der Haarschopf in den Nacken troff, und sah den Himmel winddurchpflügt, dazwischen Sterne, die noch nichts vom Morgen wußten. Er sah jenseits des Lagers ein Zelt auf gebuckelter Erde stehen, ein Wappen darauf, eine Lanze daneben, an die Lanze gelehnt einen Schild.
Herr Etzel schritt durch das Lager hin und blieb bei dem Schilde stehen. Der Schild und Herrn Etzels Gesicht mochten sich streiten, wer breitere Narben trug.
Herr Etzel trat in das Zelt hinein und fühlte eines Bettes Rand.
„Schläfst du, Freund?" fragte er.
„Nein, Herr Etzel", antwortete die Stimme eines Mannes voller Geduld.
„Es ist noch weit bis Sonnenaufgang", sagte Herr Etzel. „Warum erhebst du dich? Bleibe liegen! Ich will bei dir sitzen und mit dir sprechen, weil es noch dunkel ist. Am Tage von Sattel zu Sattel, die Luft voller Ohren und Augen, spricht es sich schlecht."
„Sprich, Herr Etzel" sagte Herrn Etzels Freund. Das Leder des Bettes knarrte in den Stricken, als der Gast sich setzte.
„Wie kommt es, Freund", fuhr Herr Etzel fort, „daß ich nicht mehr zu schlafen vermag? Ich bin sehr müde. Mein Weg war sehr weit. Wenn ich umkehren wollte, ich fände zum Anfang nicht mehr zurück. Ich fände die Wüste nicht mehr, die mich geboren hat, denn die Wüste wandert, wie Mann und Tier aus ihrem Schoß. Die mein Weib war, ist tot. Meine Söhne sind tot. Du hast eine Tochter; ich habe keine. Ich bin es satt geworden, Königreiche zu erobern und Schatzkammern anzufüllen mit Schätzen, die mir wertlos sind. Ich bin es satt geworden, auf Menschennacken zu treten. Ich habe Götter angebetet in mehr als zwanzig Gestalten und habe gelernt, daß sie ohnmächtig sind, wenn ein Mann mit hartem Munde sagt. Ich will! Kein Rausch berauscht mich mehr, nicht der des Blutes noch der des Weins. Der Rausch des großen Wanderns ist verflogen. Nähe und Ferne, beides ist mir tot. Wo ist ein Ziel? Das sollst du mir sagen, Freund!"
„Nimm dir ein Weib, Herr Etzel", sagte Herrn Etzels Freund.
Herr Etzel lachte. Es war ein Klang von Zorn in seinem Lachen.
„Ein Weib!" sagte er. „Der Hof vor meiner Burg ist schwarz von Weibern. Wenn ich den tiefen Strom, an dem wir wohnen, mit ihren Leibern füllen wollte so weit ich sehen kann flußauf und flußab, so würde ich mit allen meinen Reitern, breit ausgeschwärmt wie wir es lieben, auf trockenen Hufen hinüberreiten zum anderen Ufer."
„Ich sprach nicht von Weibern, Herr Etzel'', sagte Herrn Etzels Freund. „Ich sprach von einem Weibe.''
„Du liebst das Wortspiel, Freund, seit das Schwertspiel feiert'', sagte Herr Etzel. „Helche hatte mein Herz; sie schenkte mir Söhne. Helche starb. Meine Söhne starben. Ich gebe mein Herz keinem Weibe mehr. Ein Weib ist nicht Mannes Ziel."
„Herr Etzel, fern lebt eine Frau, eine Königin, Witwe und schön. Blond ist sie wie der Morgen, wie der Mittag hoch. Wäre sie zu gewinnen, - zum Weibe wünscht' ich sie dir."
„Es gibt keine Frau, die nicht zu gewinnen wäre", sagte Herr Etzel.
Der Mann, dessen Stimme voller Geduld war, schüttelte den Kopf.
„Seit sie Witwe ward, vergeht kein Mond, daß nicht ein König um sie wirbt, Herr Etzel, doch alle warben vergebens."
Herr Etzel stieß den Kopf mit einem Ruck empor.
Seine Faust fiel auf sein Knie.
„Es gibt keinen König außer mir", sagte er. „Wollte ich werben, ich hätte Schätze genug, die Kälteste damit zu zwingen."
„Die Frau, Herr Etzel, zwingen Schätze nicht. Sie ist reich, wie das Meer. Sie könnte mit dem Golde, dessen Herrin sie ist, von ihrer Burg bis zu deiner Burg eine Brücke schlagen lassen und könnte, darüber reitend, die Bettler aller Länder, durch die sie käme, vom Elend ihres Lebens loskaufen. Doch selbst wenn sie ärmer wäre, als Sand im Sturm, wäre der treuen Frau ihre Witwentracht um alle Kronen, die du trägst, nicht feil.''
Herr Etzel schwieg. Im Zeltdach sauste der Wind.
Fern heulten die Hunde, die in der Nässe froren. Durch den Spalt des Vorhangs fiel ein grauer Schein auf Herrn Etzels Gesicht, in dem der Mund wie eine Narbe unter Narben stand. Schwer tat der Mund sich auf.
„Und wer ist die Frau - und wer war der Mann, dem so viel Treue gehört?"
„Die Frau ist Kriemhild, die Tochter der Ute; ihre Brüder tragen die Krone Burgunds. Der Mann war Siegfried, König Siegmunds Sohn. Mit den Brüdern Kriemhilds und allen ihren Sippen ritt er zur Jagd in den Odenwald. Als ein Toter kehrte er heim von der Jagd.''
„Freund", sagte Herr Etzel mit einem verzerrten Gelächter, „du bist mein bester Mann. Du sagst mir nicht Nein. Erfülle mir eine Laune!"
„Das will ich, Herr Etzel."
„ Reite für mich einen sinnlosen Ritt."
„Wohin, Herr Etzel?"
„Nach Burgund, Freund. Wirb um Kriemhild für mich!''
„Das will ich, Herr Etzel.''
„Wirb, als würbest du um den Himmel deines sanften Gottes, zu dem du mich bekehren willst. Locke die Frau, die treue Frau aus den Falten ihres Witwentuchs. Erzähle ihr von mir, Freund, der du so reich an guten Worten bist für deine Freunde. Sage ihr; Der Mann und König, der um dich wirbt, hat mehr Kronen als Haare auf dem Kopfe. Sein Gesicht ist so voller Narben, daß kein Lächeln Raum dazwischen hat. Komm und teile mit ihm das Lager aus Pferdehäuten, an denen das Blut noch starrt. Schenke ihm einen Erben für das Unermeßliche, das er auf seinem Ritte quer durch die Welt zusammen geraubt und erplündert hat. Sagt Kriemhild Ja, ist dein Ritt umsonst. Sagt Kriemhild Nein, ist dein Ritt umsonst. Sagt sie Nein, so verwirft sie mich. Sagt sie Ja, so verwerf' ich sie.''
„Gib mir Urlaub, Herr Etzel, Gefolge und gute Pferde. Es ist noch Winter im Land."
„Reite!" sagte Herr Etzel, und stand auf. „Zweimal wird der Mond schwarz und wieder weiß werden, oder dreimal, bis du wiederkommst. Ich warte und weiß nicht worauf. Eile dich nicht, laß mich warten! Wenn du kommst, noch ehe du gesprochen hast, ist der Sinn deines Rittes vorbei."
„Warte auf mich, Herr Etzel", sagte Herrn Etzels Freund.
Der Morgen graute noch nicht, als er aus seinem Zelte trat und nach dem Schilde griff, der an der Lanze lehnte. Der Schild trug das Wappen Rüdigers von Bechlarn.
***
Da Rüdiger von Bechlarn, von Osten kommend, gegen die Burg von Worms anritt, leuchtete auf allen ihren Türmen breit der schmelzende Schnee.
Rüdiger hob sich im Sattel und schützte die Augen mit der Hand gegen die Sonne, die jenseits des Rheines zu den Hügeln sank. Er spähte und schüttelte den Kopf. Die Fahne Burgunds mit dem schönen Wappen der Könige flog nicht im Winde. Von den schmalen Brücken zwischen den Türmen klang nicht der meldende, herrlich tönende Metallschrei der Hornbläser. Nicht eines Tieres noch eines Menschen Stimme wurde hörbar, als der Bote König Etzels mit seinen stumpf und pfiffig glotzenden Begleitern den Burgberg hinaufritt.
In der Tiefe glänzte weit der Rhein, eisig am Ufer, schwarz, wo das Wasser quoll. Nichts war lebendig über Hügel und Ebene, als die Krähen, die vom Bachland her, Schatten, zu Horste flogen. Rüdiger ritt über die Zugbrücke; sie zeigte keine Spuren im Schnee. Unter ihr trotzte grämlich der Abgrund. Schneetropfen tickten hinunter.
Rüdiger klopfte ans Tor. Er klopfte zweimal und dreimal. Er wartete; schnaubend warf sein Pferd den Kopf auf. Die Hunnen, auf ihren Gäulen klebend, flüsterten miteinander. Ihre Arme, dürr und braun wie Feuerholz. darüber der blaue Schein der Kälte, ragten knochig aus Fellen und Leder; sie bohrten die Knie zwischen die Rippen der Gäule, die vor dem Dröhnen der Bohlen unter ihren Hufen zitterten. Mit offenen Mäulern staunten sie das wichtige Aufragen der Mauern an, die in so viel Einsamkeit und Hochmut höher in den Himmel zu wachsen schienen, je tiefer jenseits die Sonne sank.
„Nun.'' sagte Rüdiger in einem geduldigen Murren.
Einer der Reiter, dicht hinter ihm, stieß ein gurgelndes Lachen aus. Sein Pferd tat einen Satz, schoß an Rüdiger vorbei, wurde herumgerissen, sprang auf allen Vieren in die Luft, stand plötzlich auf den Vorderbeinen; die Hinterhufe krachten im Wirbel gegen das aufdonnernde Tor. Das Gelächter der anderen Hunnen deckte das gutmütige Schelten des Bechlarners zu.
Schmal öffnete sich das Tor zum Spalt. Darin stand ein Mann, schwarz gegen die Öde des leeren, verschneiten Hofes. Sein Haar war grau, und grau wirkte sein Gesicht, von bitterer Feindschaft verschattet.
Er und der Bechlarner sahen sich an. Der Reiter beugte sich vor.
„Mann, bist du Dankwart, der Bruder Hagens?" fragte er. Er sprach wie einer, der seinen eigenen Augen mißtraut.
Die Lippen des Mannes zogen sich schwer auseinander, senkten sich tief in den Winkeln.
„Ich bin es", sagte er. Verrostet klang seine Stimme.
„Und du bist Rüdiger, der Markgraf von Bechlarn, mit dem ich Bruderkuß und Handschlag tauschte. Sei willkommen, Markgraf Rüdiger!"
Vier Knechte, Schatten, öffneten stumm das Tor. Es schrie in ungeschmeidigen Angeln. Knechte, Schatten, standen im Winkel des Hofs. Rüdiger ritt ein in den Hof.
Der Schwarm seiner Hunnen schnellte ihm nach.
Das Tor ging zu. Rüdiger sah sich um. Die schmalen Fenster der Burg waren tote Augen, lichtlos, höhlentief.
Riesenhaft türmte sich der Dom und lastete aus seinen hundert Stufen wie ein Gebet, das, von einem tauben Himmel zurückprallend, auf die Erde stürzte und liegen blieb. Zwei arme Stapfen im Schnee zerstörten das Weiß seiner Treppe. Eine Frau war da gegangen. Die Frau war müde und alt.
„Mann", sagte der Bechlarner, „ist dies Worms, die Burg der Könige am Rhein - oder Avalun, das Land wo die Toten wohnen?''
„Es ist Worms", antwortete der Bruder Hagens mit einem Grinsen, das seinen Kopf zum Beinschädel machte.
„Wann hast du es zum letzten Mal gesehen?''
„Das war", sprach Rüdiger, „als König Gunther die Kronen seines Vaters nahm und der Priester ihn im Wunder dieses Domes segnete."
„Nun", sagte Dankwart, „das ist tausend Jahre her. Wie lange, glaubst du, hat ein Segen Kraft?"
Die Augen des Bechlarners verwiesen ihm die Rede.
Rüdiger schüttelte den Kopf.
„Wo ist Ute", fragte er, „die Frau, die ihr Herz in ihren Augen trug, daß jeder, der sie sah, sie hätte „Mutter" nennen mögen? Wo ist Kriemhild, die, wenn sie vorüberging, die grauen Steine dieser Burg zum Leuchten brachte? Wo ist Gerenot, den keiner je, außer beim Beten, ohne seine schönen Hunde sah? Wo ist Gunther, der König, und Giselher, das Kind? Sind alle sie in jüngster Zeit gestorben, daß dieses Worms wie eine Gruft erscheint?"
„Nur einer ist gestorben", sagte Dankwart; „nur einer, Mann; und auch dieser nicht in jüngster Zeit. Steig ab, Bechlarner! Wenn Kriemhild vorübergeht, leuchten die Mauern nicht mehr. Wäre Gunther verbannt, - sein Königtum könnte nicht kläglicher sein. Herr Gerenot geht nicht mehr auf die Jagd; er hat seine schönen Hunde nicht mehr; er erschlug sie mit eigener Hand. Giselher ist ein Knabe, aber nicht mehr ein Kind. Und wenn Utes Augen um sich schauen, klagen sie, weil niemand sie mehr „Mutter" nennt. Wo kommst du her, Bechlarner, und zu wem?"
„Ein König sendet mich an einen König", sagte Rüdiger und schwang sich vom Pferde. „Frage Gunther, ob er mich empfangen will."
Der Bruder Hagens zuckte die Achseln. Er hob die Hand. Knechte, Schatten, kamen heran. Sie glotzten zu den Reitern hinüber, die, weil sie froren und weil sie in trotziger Laune waren, die Hufe ihrer Pferde zwangen, barbarische, doch kunstvolle Figuren in den Schnee zu stampfen.
„Gib ihnen Raum zum Lagern", sagte Rüdiger. „Mehr tut nicht not. Die Reiter Etzels sind gewohnt, nichts anderes zu brauchen, als was sie auf eigenem Pferde bei sich tragen können."
„Ist es Herr Etzel, der dich sendet?" fragte Dankwart, schräg blickend.
„Ja'', sagte Rüdiger.
Dankwart fragte nicht weiter. Seine Lippen verkrochen sich hinter die Zähne. Er wandte sich und ging schweigend Rüdiger voran, der schweigend folgte.
Doch der Bechlarner brach das Schweigen bald.
„Du führst mich zum Pallas?" fragte er. „Hat König Gunther Gäste, daß er im Bankettsaal weilt?"
Der Bruder Hagens schüttelte den Kopf.
„König Gunther hat keine Gäste, noch erwartet er sie", sagte er. „Doch seit dem Heimritt von einer bösen Jagd liebt er es, große Räume um sich zu haben, in denen er ganz allein ist und wo er Menschen, die auf ihn zukommen, schon von weitem bemerken kann. Er liebt es, mit dem Rücken gegen Mauern gelehnt zu sitzen und die offenen Türen im Auge zu haben. Darum meidet er die Kemenaten und die Halle, die zu viel Fenster hat, und sitzt in dem leeren Saal, und niemand weiß, was er grübelt.''
Rüdiger erwiderte nichts. Sie gingen weiter. Sie kamen an einem Bauwerk vorüber, das unweit von Dom und Burg, doch abgesondert von ihnen, von steinernem Kreuz überhöht, von mächtigem Tor verschlossen, schwarzgrau im Schneelicht lag. Zwei Wächter, Schatten, standen davor, aus ihre Lanzen abstützt, unbeweglich wie Steinfiguren.
„Was ist das?" fragte Rüdiger, stehen bleibend. „Dies Bauwerk kenne ich nicht."
Ungern verhielt der Bruder Hagens den Schritt.
Grämlich wandte er den Kopf über die Schulter.
„Da liegt Siegfried begraben'', sagte er.
Rüdigers Augen hingen an dem Tor und an den Spuren der Frauenfüße, die im Schnee davor zu lesen waren. Frische Spuren, kaum getreten, führten zum Tore hin, doch nicht zurück.
Der Markgraf von Bechlarn wollte eine Frage stellen; aber Dankwart war weiter gegangen, hart und rasch, stand schon am Eingang zum Pallas, auf Rüdiger wartend. Ehe dieser ihn noch erreichte, wich er in Dunkelheit und Kühle der Mauern zurück und seine Schritte hallten laut auf den Steinen, denn er trat gewaltsam auf, als sollten seine Schritte ihn melden.
Rüdiger folgte ihm, nichts begreifend, aber stumm.
***
König Gunther trug nicht Kette noch Reif; das Kleid das er trug, war alt. Das Haar hing um seine Schläfen ohne Glanz, und als er die Augen hob, um Rüdiger entgegen zu sehen, blinzelte er, wie Tiere tun, die Höhlen leben, fern vom Licht, wenn sie aufgescheucht und in den Tag hinausgejagt werden.
Er hörte die Meldung Dankwarts, der halblaut sprach, als sei der König krank. Das Kommen Rüdigers, des Unerwarteten, schien ohne Eindruck auf sein Hirn zu bleiben, obwohl er ihn erkannte. Er lächelte ein grausiges Lächeln. Dankwart starrte seinen König an. Er sah das grausige Lächeln. Er setzte die Zähne so hart aufeinander, daß seine Ohren taub wurden. Und doch hörte er die Stimme des Bechlarners, die stammelnd sprach; „Herr Gunther . . . König Gunther . . ."
Der Bechlarner fiel in die Knie.
Aus Dankwarts Kehle kam ein Winseln heraus, wie das Winseln eines eingesperrten Hundes, der zu seinem Herrn will und nicht kann.
König Gunther sah den Bruder Hagens lächelnd an.
Er versuchte sich zu erheben. Es glückte ihm beim dritten Male erst. Er streckte Rüdiger die Hand entgegen.
„Steh auf'', sagte er mit einer leisen und heiseren Stimme. „Vor wem kniest du?''
Aber Rüdiger stand nicht auf. Er hielt die Hand des Königs umklammert, fühlte ihre kranke Glut und suchte in dem Manne, der vor ihm stand, den König Gunther, den er kannte von ehemals.
Ja, das waren die Gespenster seiner Augen, in deren schattiger п von Jugend auf das müde Wissen um die Geheimnisse der großen und alten Geschlechter gewohnt hatte. Das war das Gespenst seines Mundes, dessen Lächeln schon, als es noch nicht unter der Krone von Worms blühte, von der klugen Traurigkeit derer war, die um das Vergehen wissen und ihm nicht widerstreben. Das war das Gespenst seines Lächelns, das bezaubernd gewesen war, wie die Gastfreundschaft Burgunds. Das waren die Gespenster seiner Hände, deren Druck Versprechen und Gewähren hieß. Das war das Gespenst König Gunthers, das war nicht er selbst.
„Herr Markgraf Rüdiger von Bechlarn'', sagte das Gespenst eines Königs, „wie beredt deine Augen sind und dein entsetzter Mund! Wir haben uns lange nicht gesehen. Du dienst einem großen und glückhaften Herrn. Ich glaube, er würde dich nicht gerne auf den Knien vor einem anderen sehen . . . Wie warm deine Hand . . . Komm, steh auf! Was führt dich zu mir, Rüdiger?''
Der Bechlarner erhob sich und sah mit einem leeren Blick an den kahlen Wänden des Saales hinauf; eine Kälte hauchte von ihnen aus, die den Atem starren machte.
Diese teppichlosen, steinernen Wände standen in glitzerndem Grau als eine hohe, unbarmherzige Einsamkeit um den gespenstigen König her.
König Gunther setzte sich wieder. Seine mageren Hände suchten Halt und Stütze an den Lehnen des breiten Stuhls.
„Was führt dich zu uns, Rüdiger?" wiederholte er, und dem Bechlarner entging nicht der Ausdruck schmerzlicher Geduld in seiner Stimme. Die Augen König Gunthers sahen ihn wartend an. Er reckte sich und holte Atem.
„Ich komme", sagte er, „als Herrn Etzels Bote . . ."
Gunther hob den Kopf, ein wenig hastig. Ein dünnes Lächeln kroch um seine Mundwinkel.
„Hat dein Herr Etzel Sehnsucht nach der Krone von Burgund?'' fragte er mit weichem Spotten. „Er kann sie haben, Rüdiger."
„Du irrst dich, König", sagte der Bechlarner, „und hast doch recht. Herr Etzel sehnt sich nach der Krone von Burgund, die deine Schwester ist und Kriemhild heißt, und wirbt bei dir durch mich um ihre Hand."
Rüdiger hörte im Saal hinter sich einen knirschenden Schritt; den hatte Dankwart getan. Doch sah er sich nicht um; er blickte auf Gunther.
König Gunther beugte sich im Stuhle vor. Seine Lippen klafften, und das Blinzeln seiner Augen wurde stärker, als träfe sie ein allzu hartes Licht. Eine seiner Hände fuhr zuckend durch die Luft, ein bleicher Vogel, ausgeschreckt von Helle.
„Wahnsinn!" murmelte er.
Herrn Etzels Freund hob seine treuen Augen. Eine flüchtige Röte lief über sein Gesicht, als wäre ihm Kränkung widerfahren.
„Sage nicht, König, daß dies Wahnsinn sei", entgegnete er. „Der Mann, der um Kriemhild, deine Schwester wirbt, den nennen sie mit Fug und Recht den Herrn der Erde. Du botest ihm die Krone von Burgund.
Wenn's ihn gelüstete, die Hand danach auszustrecken, so würde er die Hufe seiner Pferde nicht innehalten lassen im Galopp, bis er sie, vorbereitend, erhascht und zu den anderen geworfen hätte."
Herr Rüdiger hielt inne; der knirschende Schritt im Saal hinter ihm kam rasch und sehr entschlossen auf ihn zu. Herr Rüdiger warf den Kopf herum. Seine Augen maßen sich mit den Augen Dankwarts, in denen Ärger glühte.
König Gunther lachte, ein kleines, heiseres Lachen.
„Du hast mich mißverstanden, Rüdiger", sagte er. „Ich fürchte, König Etzel weiß nicht, um wen er wirbt . . ."
„Er weiß es'', antwortete der Bechlarner, . . .durch mich . . ."
Die Gespenster von Gunthers Augen blinzelten ihn an mit dem Gespenste seines Lächelns.
„Durch dich!" sagte die Stimme des Gespenstes. „Du hast Herrn Etzel von Kriemhild erzählt? Ich höre dich sprechen, Bechlarner! Die blonde Kriemhild schimmerte blonder aus deinen Worten, nicht wahr? Du sahst sie, während du sprachst, die königliche Magd, an der Hand der Mutter zum Münster schreitend, die stolzeste und demütigste Stirn über den Geheimnissen der gesenkten Lider, der unerschlossenen Lippen. Lebt sie nicht in deiner Erinnerung als eine jener Frauen, die vermählt werden und Kinder zum Lichte heben und doch an der Seite des Mannes stehen in ewiger Jungfräulichkeit? Dachtest du nicht, als du von ihr vor Etzel sprachst, daß ihre unendlich sanften Augen vielleicht noch schöner geworden seien, weil sie das Weinen gelernt hatten bei Siegfrieds Tod?"
„Ist es nicht so?" fragte der Bechlarner ernst.
Das bleiche Lächeln Gunthers vertiefte sich, als er sich erhob und auf den Boten Etzels zutrat. Er lächelte noch, als er die mageren, blassen Hände hob, um sie auf Rüdigers Schultern zu legen. Aber als er sein Gesicht ganz nahe an das des anderen heranschob, als Rüdiger die Augen des Königs ganz nahe vor den seinen sah, da mußte er – und wußte nicht, warum - an die Hölle denken und an die ewige Verdammnis.
„Ich sage dir, Rüdiger", raunte der König am Munde des Bechlarners, „die Burg zu Worms ist ein Beinhaus geworden, in dem die Toten umgehen um Mittag und um Mitternacht..."
Rüdigers Lippen öffneten sich, doch die magere Hand des Königs drückte sie wieder zu.
„Du sollst Kriemhild sehen", sagte er. „Du sollst ihr Etzels Werbung selber bringen und hören, was sie dazu sagt."
Seine Augen suchten Dankwart, der, ein Schatten, hinter Rüdiger noch wartend stand.
„Geh zu meiner Schwester, Dankwart", sagte er und, mit einem schmalen Zucken der Lippen: „Du wirst sie ohne Zweifel zu finden wissen. Melde ihr, Markgraf Rüdiger von Bechlarn sei gekommen, um sie zu grüßen. Wir warten ihrer in der Halle, wo das Feuer brennt."
Der Bruder Hagens sah aus wie ein Mensch, der sich anschickt, einen zwecklosen Weg zu tun. Seine Schritte knirschten auf den Steinen des leeren Saales. Auch Rüdigers Füße gingen stark und hart. Die Schritte König Gunthers waren nicht zu hören.
***
Das Feuer brannte in der Halle, und am Feuer saß Herr Volker von Alzey. Als Rüdiger zu ihm trat, hob er die Augen und eine Hand zum Gruß. Rüdiger nahm sie nicht. Er stand und blickte auf den Spielmann.
„Vergehen die Jahre schneller zu Burgund als zu Bechlarn", fragte er kopfschüttelnd, „daß dein Blondhaar Zeit hatte, grau zu werden, seit wir uns zum letzten Male sahen?"
Der von Alzey spielte mit dem Bogen, Runen zeichnend auf die grauen Steine. Es war kein Lächeln, was ihm die Lippen verzog.
„Singst du noch immer in der Dämmerung, die Schale mit dem Rauchwerk neben dir, daß alle, die im Saale sind, still werden und selbst Frau Ute sich vom Webstuhl wendet, um dir zu lauschen?"
„Nein, Rüdiger!"
„Saiten sind gesprungen auf deiner Geige, Spielmann. Bespannst du sie nicht neu?"
„Es lohnt sich nicht, Rüdiger!"
Der Vorhang teilte sich. Zwei Frauen, Schatten, kamen herein. Sie neigten die Stirnen. Ute trat in den Saal. Drei ihrer Kinder, Söhne, folgten ihr. Die Tochter fehlte.
Um das Feuer scharten sie sich mit Rüdiger. Giselher schürte das Feuer. Gerenot zündete die Fackeln an. Sie wollten keine Knechte in ihrer Einsamkeit; sie schwärzten sich die Hände selbst. Groß spielten die Schatten an den weißen Wänden.
„Ihr kommt als Bote Etzels'', sagte die Herrin Ute.
Sie schien zu frieren. Eng zog sie den Mantel um sich her. Sie richtete beim Sprechen ihre schönen, alten Augen auf Rüdiger. Doch ihre Söhne schien sie nicht zu sehen.
„Herrin'', sprach der Bechlarner, „gebt meiner Werbung das Gewicht Eurer Fürsprache."
Die Herrin Ute lächelte bitter.
„Ihr sprecht, Herr'', sagte sie, „als ginge Kriemhild noch an meiner Hand, mir nahe genug, um meine Stimme zu hören. Kriemhild hört meine Stimme nicht mehr . . . Ich hoffe, Eurer Gattin geht es gut, und was macht Dietlind, Eure zarte Tochter?"
Rüdiger antwortete nicht, obwohl sie ihn ansah und seine Blicke in den ihren lagen. Er horchte nur auf die Stimme der Frau, in der es ferne, unablässig weinte.
Wie aus einer unerschlossenen Gruft kam dieses Weinen heraus, von allem Trost verlassen, ewig . . . ewig . . .
König Gunther räusperte sich, als sei ihm die Kehle dürre geworden. Volker warf den Kopf zurück. Wie zwei ausgehungerte Geiervögel flogen seine Blicke über die Schulter Rüdigers weg gegen die Tür. Die aufgesprungenen Lippen klafften trocken wie bei einem, der verdurstet, ohne sterben zu können. Rüdiger wandte sich um. Dankwart war eingetreten. Er hielt den Vorhang offen.
Eine Frau trat ein. Die Frau war Kriemhild.
Herr Rüdiger wollte ihr entgegengehen. Aber auf halbem Wege blieb er stehen und stürzte in die Knie. Sein Nacken beugte sich; er fand keinen Gruß.
Lautlos standen die anderen. Kriemhilds Augen, gewaltsam gerötet, Blickten aus Gunther, - der schaute zur Seite; auf Gerenot, - der hatte die Lider gesenkt; auf Giselher, - der zerbiß sich die Lippen. Sie blickte weit fort über Volker von Alzeys hungrig schreiende Augen.
Sie sah an der Mutter vorbei; an Utes Mangel bebten alle Falten.
Sie sah auf Rüdigers sprachlos gesenktes Haupt.
„Herr Markgraf von Bechlarn'', sagte sie mit einer Stimme ohne Klang. „Seid gegrüßt. Man hat mir gemeldet, daß Ihr als Bote Etzels, Eures Herrn, nach Worms gekommen seid. Herr Etzel kann sich glücklich preisen, Euch zum Vasallen zu haben. Es gibt Könige, die weniger gute Freunde besitzen . . .''
„Meine Botschaft, Herrin", sagte der Bechlarner und stand auf, „geht an Euch!"
Die Lippen Kriemhilds teilten sich; doch was sie teilte, war kein Lächeln.
„Ihr müßt Euch irren, Herr'', antwortete sie. „Ich bin nicht mehr ein Mensch, dem man Botschaft schickt. Ich bin ein Schatten. Und an Schatten", fuhr sie fort, weitersprechend mit heimlichem Schaudern, „schickt man keine Botschaft; man bringt sie ihnen selbst."
Den Mantel um sich ziehend, trat sie einen Schritt auf Gunther zu, ohne sich ihm zu nähern. Sie fing seinen Blick mit ihren Augen; nicht atmend, Blut aus gefolterten Lippen, starrte er sie an.
„Ihr ließt mir sagen, Herr'', sprach sie, „daß Ihr mir Wichtiges zu melden hättet. Wichtig ist mir, wie Euch wohlbekannt, nur noch eines; Rache für meines Gatten Tod. Seid Ihr endlich dazu bereit?"
„Nein, Kriemhild'', sagte König Gunther heiser.
Über die Blässe Kriemhilds, die entsetzlich anzusehen war, ging wie eine Flamme das Blut. Sie trat näher auf den Bruder zu, und doch war es, als zöge sie ihn an ihren blutenden Augen zu sich heran, - ihn, der gequält widerstrebte.
„König Gunther'', sagte sie, immer leiser sprechend, „ich bitte dich, der du König bist und ein Gesalbter des Herrn: hilf mir zu meiner Rache am Mörder Siegfrieds, meines Gatten.''
Die Hand des Bechlarners griff nach dem Arm des Spielmanns, neben dem er stand; seine Finger fühlten das Spiel der sich spannenden Muskeln, die ihrem Griff widerstanden.
„Heiland am Kreuz!'' sagte der Bechlarner ohne Laut, „wovon spricht die Frau?"
Der von Alzey antwortete nicht.
Der Bruder und die Schwester sahen sich in die Augen.
König Gunther sprach; „Tausend Male hast du mich gefragt, Kriemhild. Tausend Male gab ich dir Antwort. Lieber würfe ich die Krone weg und ginge in die leere Welt, ein Bettler, um niemals heimzukommen, als daß ich einem meiner Sippe die Treue bräche!"
Ein Ausdruck von Irresein verzog den Mund Kriemhilds zum Lachen.
„Ach, König Gunther", sagte sie, „seit wann bist du so bedenklich geworden? Ich weiß von einem, dem du Blutsbruderschaft geschworen hattest, und dem du die Treue brachst, und der auch von deinen Sippen war."
Die rote Fackel spielte auf Gunthers Gesicht wie auf den grauen Steinen.
„Davon ist heute nicht die Rede, Schwester'', sagte der König; er zerbiß die Worte zwischen den Zähnen.
„Davon ist heute die Rede und immerdar'', entgegnete Kriemhild. „Damit stehe ich auf und damit lege ich mich nieder. Wenn ich einmal schlafe, zwischen erstem und drittem Hahnenschrei, dann träume ich und immer das Gleiche. Ich werde nicht aufhören, davon zu sprechen, solange ich die Zunge regen kann. Ich habe die Hände nicht mehr gefaltet, seit meine Finger die blutende Wunde am Herzen Siegfrieds berührten. Ich habe den Dom nicht mehr betreten, seit ich an Siegfrieds Bahre dort die Totenwache hielt. Du bist der Gott geworden, zu dem ich mit erhobenen Händen schreie; Höre mich! Aber du bist taub, wie Gott es war in jener letzten Nacht im Dom. Es ist Unrecht geschehen, wie noch kein Unrecht geschah. Blut wurde vergossen und nicht gerächt . . ."
Sie trat an ihn heran, die Hand erhebend, ihn fast berührend mit dieser ausgestreckten Hand, von der eine schneidende Kälte auszugehen schien.
„Bruder!" sagte sie, „wo ist dein Bruder Siegfried?"
Gunther sprach nicht. Niemand sprach. Das flammende Holz im Kamin brach in sich zusammen. König Gunther warf den Kopf in den Nacken und brach in ein schallendes Gelächter aus.
„Nun, Rüdiger?" schrie er und schlug sich in die Hände, „habe ich dir zu viel erzählt? Gelüstet’s dich noch, König Etzels Botschaft auszurichten?"
Kriemhild wandte die Augen auf Rüdiger; der trat zu ihr hin, verwirrt, doch unerschüttert, ratlos, doch entschlossen.
„Was willst du von mir, Bechlarner?'' fragte Kriemhild ohne Laut.
„Herrin", antwortete er, die treuen, stillen Augen gerade auf sie richtend, „mir scheint, ich kam in ein brennendes Haus, in ein versinkendes Schiff, zu Sterbenden oder zu Toten. Doch meine Botschaft richte ich aus. Das erwartet mein Herr von mir.''
„Herr Etzel'', sagte Kriemhild und sprach das Wort, als sähe sie den Rand der Welt in Flammen.
„Ja, Herrin; König Etzel. Er wirbt durch mich um deine Hand.''
Es trat ein Schweigen ein nach diesen Worten. Aller Augen hingen an Kriemhild, die sich nicht regte. Die Mutter Ute öffnete den Mund, als wollte sie zu ihrer Tochter sprechen. Doch die Worte loschen auf ihren Lippen aus.
Kriemhild atmete tief, zweimal und dreimal. Sie zitterte vor Zorn vom Kopf bis zu den Füßen.
„Ihr wußtet wohl, Herr Markgraf Rüdiger", sagte sie, „daß ich im Hause meiner Brüder jedweder Kränkung preisgegeben bin!"
Ein Schatten sprang zwischen Kriemhild und das Feuer. Gerenots flammender Kopf drängte sich gegen sie.
„Schwester!" schrie er. Sie maßen sich mit den Augen, beide zitternd, beide in Glut und Eis getaucht.
„Nun?" fragte Kriemhild nach einer Weile, raunte das Wort. „Nun, Bruder?"
Stille und Atmen. Knistern des Feuers. Wehen einer Fackel, schwelend getrübt.
„Nun, Gerenot?" fragte Kriemhild, weit vorgebeugt.
„Nun, mein junger Bruder, der du so gern auf die Jagd gegangen bist und nicht mehr gehst, willst du mich Lügen strafen? Willst du mir Recht verschaffen zu Burgund? Willst du der Rächer meines Gatten werden?"
„Warum fragst du, da du die Antwort weißt?" rief Gerenot zornvoll.
„Warum gabt Ihr zu, daß Rüdiger um mich warb, da Ihr die Antwort wußtet?" fragte Kriemhild. „Ich bin eine Frau. Der mich schützte, ist tot. Wehrlos trifft mich Kränkung."
Sie richtete sich auf; sie wandte sich zum Gehen.
„Reitet heim, Markgraf Rüdiger", sagte sie. „Als Herr Volker noch zur Geige sang, sang er von einem schwarz ragenden Baum, der atmete Gift aus den Blättern. Atmet nicht länger giftige Luft, der Ihr nicht dazu verflucht seid."
Der Bechlarner wollte antworten; doch das Wehen eines Vorhangs, auf- und beiseitegerissen, kam ihm zuvor. Schritte eines Mannes klangen auf den Fliesen, unbekümmert, beinah heiter, Stimme eines Mannes klang im Raum, unbekümmert, beinah heiter.
„Sei willkommen, Rüdiger, zu Worms", sagte Hagen Tronje.
Kriemhild stand, ein Stein. Dann, heftigen Schrittes, verließ sie die Halle.
Hagen Tronje blickte ihr nach. Er schlug dem Bechlarner die Faust auf die Schulter. Er blickte der Herrin Ute nach, die weiß wie der Frost an ihm vorüber aus der Halle ging. Er lächelte tief, holte tief Atem.
„Das kann nichts Geringes sein", meinte er, „das dich nach Worms führt, Rüdiger . . ."
„Nichts Geringes, bei Gott!" entgegnete Gunther mit einem kleinen Lachen. „Die Werbung Etzels um Kriemhild."
Der Kopf des Tronjers fuhr herum. Das Kinn sprang aus der Eisenhaube, spitz stach der Bart in die Luft.
„Und Kriemhild?''
Volker von Alzey stieß einen murrenden Laut aus.
Unter seinen immer verkrampften Brauen hervor glühte der Blick nach Hagen.
„Narr!" sagte er.
Gunther zuckte die Achseln breit.
„Sie hat Herrn Etzel und seinem Boten die gleiche Antwort gegeben, die sie allen gab, die um sie warben."
Hagen Tronje atmete zufrieden.
„Hätte sie's nicht getan", sagte er, „hätte sie Ja gesagt, dann hättest du Nein sagen müssen, König Gunther."
Die Brüder schauten auf. Volkers Hand, die mit dem Bogen spielte, lag still.
„Warum?" fragte der Bechlarner.
„Warum?" fragte König Gunther. Der Blick, mit dem er Hagen maß, war ohne Freundlichkeit.
„Weil", sagte Hagen Tronje mit einem schrägen Blick rundum, „der zweite Gatte Kriemhilds eben gut genug wäre, um den ersten zu rächen."
Ein erzürnter Schrei aus Giselhers Munde sprang ihm ins Wort. Gunther erhob sich heftig und bleich. Gerenot lachte sein schönes, zorniges Lachen, das ihm das Haar um den Kopf tanzen machte. Volker von Alzey warf sich aufstehend die Geige über den Rücken und hielt den Bogen wie ein Schwert.
„Das Wort war schlimmer als deine schlimmste Tat, Hagen Tronje", schrie er über die Stimmen der anderen hinweg.
„Ich habe Euch nicht verstanden, Hagen Tronje", sagte der Bechlarner.
Breitbeinig stand Hagen da und blickte von einem zum anderen; sein inneres Gelächter, das niemals laut wurde, erschütterte ihn, daß die eckigen Schultern bebten. In dem einen Auge, das ihm der Kampf im Wasgenwald gelassen hatte, glimmerte ein schwaches, dunkelgrünes Licht, wie es in Nächten auf schmelzendem Eise steht.
„Toll seid Ihr!" begann er halblaut. Aber jedes seiner Worte riß ein Stück Beherrschung nieder, wie Anprall Steine aus einer Brustwehr stößt. „Toll seid Ihr,- wahnsinnig - besessen! - Herr Etzel!" Er lachte, daß ihm der Kopf in den Nacken fiel. „Herr Etzel -!" Er schlug klatschend die Hände zusammen. „Das ist der Mann, der Kriemhild taugt. Wäre ich nicht dein Vasall, König Gunther, - dann möchte ich Etzels sein! Ein Kerl, - ein Heide, - ich lieb’ ihn! Der in Kirchen nur geht, wenn er sie plündern will! Hat im Genick einen Wirbel zu wenig, - kann sich nicht beugen, vor Gott nicht, vor den Menschen nicht! Der und Kriemhild! Noch vor der Hochzeit: „Was willst du, Kriemhild!" Er schmeißt ihr die Welt vor die Füße. Sie will die Welt nicht. Etwas anderes will sie. „Was, Kriemhild, was?!" - „Herr Etzel, fangt mir die Mörder Siegfrieds, meines Gatten!" - - - „Herrin, gern!" - - - Und Herr Etzel reitet einen raschen Ritt und holt seinem Weibe die Mörder ihres ersten Gatten, reitet sie mürbe unterm Sattelbogen, bringt sie ihr, schleppt sie ihr hin, zwei Hälse in jeder Hand: „Da hast du sie, Kriemhild!"
König Gunther stieß seinen Kopf so hart gegen Hagens Lippen vor, daß er sie fast berührte.
„Ich verbiete dir, Tronjer, hörst du? ich verbiete dir", flüsterte er, während seine Zähne klirrten, „so von Kriemhild, meiner Schwester, zu sprechen.''
Hagen Tronje wich nicht zurück. Sein Auge verkroch sich; unterm Barte gleißten seine Zähne, Tierzähne, mächtig und hart.
„Gunther, König Gunther!" raunte er. „Ein Auge habe ich nur; reiß' es mir aus, - ich brauch' es nicht! Ohne Auge sehe ich mehr als Ihr. Du hast eine Tat getan, König Gunther, - die war stärker als du. Nun scheust du nicht nur das Tun, - auch das Hören und Sehen. Ich bin nicht schwächer als meine Tat; ich stehe zu ihr, hab' sie von Herzen getan und würde sie von Herzen wieder tun! Meine Ohren hören, mein Auge, das sieht für dich. Und das ist nötig, König Gunther!" Er warf einen Blick rundum, verdrießlich, vergrämt, als ärgere ihn das Nahesein der anderen. Doch fuhr er im Sprechen fort.
„Siehst du am Morgen den Wegen Kriemhilds zu, wenn sie mit ihren Frauen zu Siegfried geht? Du nicht, Herr Gunther, aber ich! Zählst du das Gold, das Kriemhilds Frauen im Mantel tragen, rotes Gold aus dem Nibelungenhort, allmorgendlich dem Schatz entnommen? Du nicht, Herr Gunther, aber ich! Zählst du die Bettler, die Kriemhild zu sich lädt, die sie warten läßt vor Siegfrieds Gruft, während sie betet, und ihr Gebet ist ein Fluch? Du nicht, Herr Gunther, aber ich! Siehst du das Bild, das die Bettler sehen, wenn endlich das Tor der Gruft geöffnet wird und die Wächter davor in die Knie sinken und Kriemhild hinter dem Steinsarg steht, die Hand aus dem Stein, ihre Frauen um sie her, bleich vom Weinen, vom Wachen und vom Haß? Du nicht, Herr Gunther, aber ich! Siehst du, was jeden Morgen sich begibt, wenn Kriemhild heraustritt aus der Gruft, ihre Frauen zu sich winkt, die Bettler . . . Niemand braucht ihnen zu sagen, daß sie vor dieser Frau in die Knie fallen sollen; sie tun es von selbst, sie werfen sich in den Schnee, strecken die Hände aus, - nicht um zu betteln, o nein. Sie bieten sich dar, sie drängen sich vor, wollen genommen sein; Hier hast du uns, Herrin! Hier sind wir! Und Kriemhild, deine schöne Schwester, schöner als sie jemals war, läßt Gold in alle die ausgestreckten Hände fallen, schüttet den funkelnden Regen aus und spricht mit einer Stimme, König Gunther, die Winter werden ließe, wenn’s nicht Winter wäre. „Im Namen Siegfrieds, der ermordet wurde und dessen Mörder lebt!" . . . Hörst du die so Beschenkten aufheulen und schreien um den Schmerz der Witwe, um die ungesühnte Tat? Hörst du sie fragen; „Königin, was sollen wir tun für dich?" Siehst du den Blick aus Kriemhilds Augen, mit dem sie ihnen: „Nichts!" gebietet, - weil sie sehr wohl weiß, die Frau, daß allmählich, ohne ihr Zutun, ohne ihren Befehl, aus diesen dumpfen Bettlerhirnen eines Tages der Wunsch herausbrechen wird, den toten Siegfried für sein Gold zu danken und seiner Witwe ihr Recht zu verschaffen? Darauf wartet die Frau. Daraus wartet ihr alle. Auch du, Herr Gunther, - ich nicht!"
Sein klirrender Fuß stampfte auf den Steinen. Er schüttelte sich, daß Funken vom Eisenhemd aufsprühten; er war der einzige am Hof zu Worms, der in den Waffen seiner Väter lebte; die Könige liebten das weiche Kleid.
Langsam hob Gunther die gesenkten Lider. Er sah den Bechlarner an, lächelte.
„Nun, Rüdiger?"
„Ihr Herren", sagte der Bote Etzels. Seine Hände strichen über sein Haar, als fühlten sie den Kopf in Flammen stehen, „Ihr Herren, sagt mir eines, denn ich wußte nichts, als ich zu Euch kam; Ist Siegfried ermordet worden?"
„Ja", sagte Hagen Tronje.
Der Bechlarner sah ihn an.
„Und wer hat die Tat getan?"
„Ich", sagte Hagen Tronje.
Der Bote Etzels wollte reden; er sprach nicht. König Gunther wandte den Kopf.
Ein Edelknabe, schlank und blaß, fast noch ein Kind, war eingetreten und sagte niederkniend; „Herr Markgraf Rüdiger, die Königin Kriemhild läßt Euch bitten, Ihr möchtet zu ihr kommen nach dem Aveläuten."
Die Männer in der Halle sahen sich an. Hagen Tronje blies die Luft aus den Lungen. Der Knabe wartete.
„Geh!", sagte König Gunther tonlos. Und es blieb ungewiß, ob er den Knaben meinte oder den Boten Etzels.
Первые четыре главы нибелунгокнижки Теа фон Харбоу
Один человек выразил желание прочесть, а кто может воспротивиться желанию вывесить свою графоманию, если кто-то готов прочесть?
В оригинале главки отделены буквицами - я вместо них поставила звёздочки
оригинал
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